Ein außergewöhnlicher Ort
Patagonien im tiefen Süden Lateinamerikas ist der Ort, wo Extreme aufeinandertreffen. Im Süden des Südens, im stürmischen Ozeangebiet zwischen dem 40. und dem 50. Breitengrad - die berühmten Roaring Forties oder die Rugissants (die Tobenden) und Hurlants (die Heulenden), wie die Franzosen es nennen - prallen unter dem gleichmütigen Blick des Kap Horns zwei Ozeane aufeinander, der Atlantik und der zu Unrecht so benannte Pazifik. Sie schieben sich im Beagle-Kanal ineinander, in der Magellan-Straße und den zahllosen anderen Meereszungen. Mythische Orte der Navigation, nur spärlich besiedelte Landstriche.
Die Städte Ushuaia, Puerto Williams, Punta Arenas, Puerto Natales ducken sich unter den mächtigen, stetigen Winden, die regelmäßig über 100 km/h erreichen. Die Meeresströmungen sind dort ebenso gewaltig wie die Wetterwechsel unvorhersehbar und schlagartig. Das ist der Süden. Dann kommen weiter im Norden die gigantischen kontinentalen Eisfelder : Campo de Hielo Norte und Campo de Hielo Sur, die die drittgrösste Inland-Eismasse der Welt bilden. Die Andenkordillere wird hier zur Eismasse und macht über Hunderte von Kilometern dem in Tausenden von Fjorden zerschellten Ozean Avancen. Der Golfo de Penas (Golf der Leiden) mit seinem so unheilvollen Namen, der im Osten an den Gletschern leckt und sich weit nach Westen öffnet, bildet gen Norden eine Art Sturmgrenze. Nicht weit davon entfernt, nach über 3000 Kilometern Fahrt durch Eis, tosende Winde und ständigen Regen, liegt Coyhaique, die nördliche Hauptstadt des chilenischen Patagoniens.
Grenzenloses Patagonien
Patagonien hat keine klaren Grenzen. Zwar sind sich alle einig, daß der pazifische und der atlantische Ozean die natürliche Abgrenzung darstellen, doch die Nordgrenze ist umstritten. Wir persönlich haben entschieden, die Grenze auf der Höhe des argentinischen Rio Negro und der Verlängerung dieser Linie in Chile anzusetzen. Warum ? Warum nicht ? Wenn man ihm schon eine Grenze geben muß, ist diese ebenso gut wie eine andere. Patagonien erstreckt sich also über zwei Länder, Chile und Argentinien.
Das argentinische Patagonien
Der östliche Teil Patagoniens, auf argentinischem Staatsgebiet, ist am bekanntesten. Die Bilderbuch-Bilder, oft wirklichkeitsnah, stammen von dort. Der Gaucho auf seinem Pferd, der, gefolgt von seinen Hunden, riesige Schafherden vorantreibt. Dürre Pampa, so weit das Auge reicht, ohne jede geographische Abwechslung. Endlose gerade Strassen, die alle 100 Kilometer abgeschiedene Orte miteinander verbinden. Die Öl-Bohrlöcher, über denen die grossen Metallspinnen schaukeln. Staub, Sonne und nervender Wind.
Das chilenische Nordpatagonien
Es bildet einen schmalen, rund 50 Kilometer breiten und 800 Kilometer langen Streifen, eingeklemmt zwischen den Anden und dem Pazifik. Es ist im Süden von Gletschern und im Norden von Puerto Montt, Tor zum wilden Patagonien, begrenzt. Dieser Teil wird in den Reiseführern kaum erwähnt. Alexandre Chenet hat die Gegend vor einigen Jahren zu Fuß durchquert. Sie birgt den valdivianischen Primärwald, ein ökologisches Juwel mit wenig erforschten Eigenheiten. Hier werden die höchsten Regen-Rekorde registriert. Hauptstadt ist Coyhaique, eine Stadt mit 45000 Einwohnern, unsere Endstation.
Das Patagonien der Gletscher
Dieses Patagonien ist im wesentlichen chilenisch. Die patagonischen Eisfelder – das nördliche und das südliche – bilden nach der Antarktis und Grönland die drittgrösste Inland-Eismasse der Welt. Es ist ein riesiges, das Gebirge erdrückende Eisfeld, das im Osten nach Argentinien ausufert und im Westen ins Meer stürzt. Eine unvergleichliche Landschaft aus der letzten Eiszeit, die jedes Jahr die Besucher des Perito Moreno (Arg), des Fitz Roy (Arg) und der Torres del Paine (Ch) begeistert.
Südpatagonien
Das ist das schreckenerregende Patagonien. Umtost von Winden, von denen man gerne sagt, sie seien konstant, zersplittert von Tausenden von Fjorden und Orten mit mythischen Namen wie Magellan-Strasse, Beagle-Kanal, Kap Horn, dieses Patagonien ist das Ende der Welt, von dem alle Abenteurer nur träumen können. Das Leben dort ist hart, es ist oft kalt, oft regnerisch, und es ist dort unglaublich schön. Die Natur ist allgegenwärtig, uralt.
Die Winde
Patagonien ist für seine Winde berühmt. Im Süden Patagoniens kommen sie vorwiegend von West, weiter nördlich von Nord-West. Die Legende ist nicht übertrieben : es kommt nicht selten vor, dass man aufgrund ihrer Stärke tagelang nicht zu Fuß unterwegs sein kann. Dann gibt es nur eine Lösung : Warten.
Die Temperatur (Süden und Chile)
Die Temperaturen sind nicht erschreckend. In den südlichen Regionen fallen sie mitten im Winter selten unter -25°C. Allerdings steigen sie im Sommer nur selten über +10°C. Ihre Besonderheit liegt in den plötzlichen Wechseln. Es kommt nicht selten vor, daß sie in wenigen Stunden von 0°C auf -15°C fallen und umgekehrt. Es heißt, daß hier an einem Tag alle vier Jahreszeiten auftreten können.
Der Regen
In einem Punkt enttäuscht das chilenische Patagonien nie: der Regen. Im Norden fällt er ohne Unterbrechung. So gab es beispielsweise im Oktober 2004 dort nur zwei Tage, wo es maximal einige Stunden lang nicht regnete. Im Süden können die Winde die Wolken nach Osten treiben, anders als im Norden, wo sie von den Anden aufgehalten werden. Die Windstillen sind dort somit häufiger, aber dafür ist die Niederschlagsmenge größer.
Die Morphologie
Ganz Chile ist Erdbebengebiet. Im Norden des chilenischen Patagoniens führte dies zur Entstehung einer Kette von Vulkanen, einer schöner als der andere, angefangen mit dem Vulkan Osorno ganz im Norden, ein wunderschöner, perfekter Kegel mit schneebedecktem Gipfel. Weiter im Süden endet die Andenkordillere in einer Explosion von Fjorden im Pazifik, auf der Höhe der großen Gletscher : das ist das maritime Labyrinth, durch das wir paddeln werden.